Experimente und Verfremdungen

Vermutlich wird jeder Fotograf im Laufe der Zeit auch einmal mit den Möglichkeiten zur Verfremdung seiner Bilder experimentieren. Gerade in jüngerer Zeit unter dem Einfluss digitaler Bildbearbeitungstechniken sieht man derartige Praktiken vermehrt. Leider ergeben sie oft keinen Sinn. Es sind und bleiben Spielereien, die einzig um des Effekts willen existieren. Selten sind Verfremdungen wirklich dem Bildinhalt angemessen bzw. erfüllen einen bildnerisch-inhaltlichen Zweck. In manchen Fällen ergibt sich ein Sinn, eine Berechtigung für Verfremdungen zwar nicht aus dem Bildinhalt, wohl aber aus dem angestrebten Verwendungszweck. Solche Fälle muss man dann von den reinen Effekthaschereien unterscheiden.

Aus derartiger Einsicht heraus ist die Zahl verfremdend bearbeiteter Fotografien in meinem Archiv über die Zeit recht gering geblieben. Die wenigen Beispiele sind dann überwiegend mit herkömmlicher Dunkelkammertechnik wie z.B. Pseudosolarisation entstanden. Digitale Techniken habe ich für Verfremdungen bislang nur selten eingesetzt. Letztere nutze ich eher zu Zwecken der Retusche und Restaurierung (z.B. zur Rettung alter Fotografien).

Außer den oben vorgestellten Verfremdungen, die allesamt Nachbearbeitungstechniken sind, gibt es diverse andere Möglichkeiten der Bildgestaltung, die man als experimentell bezeichnen kann oder so zu bezeichnen pflegt. Bei denen handelt es sich dann aber z.B. um ungewöhnliche Aufnahmetechniken, direkte Abbildungsverfahren (z.B. Fotogramme) und Verfahren, die fotografieuntypische Mittel verwenden. Bisweilen auch nur einfach ungewöhnliche Perspektiven.

Auch solcherart entstandene Bilder verlassen oftmals nicht die Ebene des Experiments, d.h. eines Versuches. Mitunter allerdings werden ästhetisch reizvolle Darstellungen erzielt, die erheblichen dekorativen Wert besitzen und von daher eine gewisse Berechtigung erfahren.

Digitale Bildbearbeitung

Digitale Aufnahme- und Bildbearbeitungstechniken haben in jüngster Zeit großen Aufschwung genommen und es gab - wie üblich in solchen Situationen - Stimmen, die das bevorstehende Ende der herkömmlichen Fotografie verkündeten. Das wird wohl nicht eintreten, aber unser Verständnis von Fotografie und unser Verhältnis zur Fotografie, zum fotografischen Bild wird unter dem Einfluss der neuen Techniken verändert. Digitale Fotografie und digitale Bildbearbeitung ursprünglich konventionell aufgenommener Fotos ist über weite Strecken substanzlose Technik in dem Sinne, dass sich alle Schritte der Bildentstehung im körperlosen Raum elektronischer Impulse abspielen wohingegen in der herkömmlichen Fotografie handgreiflich bearbeitbares Material vorliegt. Insofern sind auch diese Zwischenschritte digitaler Technik wesentlich fragiler, können sie doch schon durch verhältnismäßig unerhebliche Faktoren unwiederbringlich zerstört werden. Nebenher entfremden sie den Fotografen in einigem Umfange von seinem Schaffensprozess. In seinen Bildern erschafft der Fotograf eine Welt eigener Realität, bevölkert mit selbstgeschaffenen Geschöpfen, und der Weg dahin ist ein Prozess von Formung und Gestaltung bei dem Material bearbeitet werden will, um am Ende das befriedigende Gefühl erleben zu können, die aus der äußeren Wirklichkeit entlehnte Vorlage über die eigene Idee transformiert dem Material aufgeformt zu haben, um daraus nunmehr eine neue Wirklichkeit zu erfahren. Die beliebige Kombinier- und Vertauschbarkeit der Inhalte sowie oftmals deren Unabhängigkeit von realen Vorlagen wird zu einem Charakteristikum, das den Anspruch auf Glaubwürdigkeit unterhöhlt. Tatsächlich ist auch die Wahrheit konventioneller Fotografie eine subjektive, eine innere Wahrheit, die nicht zwingend einen Bezug zur Wahrheit ihrer realen Vorlage zu haben braucht. Wegen ihrer Abhängigkeit von einer solchen realen Vorlage aber wird sie als überwiegend glaubhaft eingeschätzt und entsprechend wahrgenommen. Die neue Beliebigkeit der Bildelemente aber zerstört diese Auffassung. Das kann im Einzelfall zu einer Schärfung der Beobachtung führen, die zu einer intensiveren und kritischeren Beschäftigung mit Bildern führt, wird aber wohl überwiegend eher zu einer oberflächlichen Betrachtungsweise führen, die der Beliebigkeit entspricht und dem Gedanken Rechnung trägt, man könne einem Foto generell nicht trauen. Man wird keine neue Wirklichkeit darin finden sondern allenfalls eine Ersatzwirklichkeit aus Versatzstücken. Es wird ein Sieg des Trivialen, des Banalen, der sich dort anbahnt und droht, über das Bewußtsein der Rezipienten auch die herkömmliche Fotografie mit in den Abgrund zu reißen. Für manche Zwecke sind digitale Techniken ideal, für andere denkbar ungeeignet. Ein sich gegenseitig ergänzendes und durchaus beeinflussendes Nebeneinander digitaler und konventioneller (oder wer den Begriff mag: analoger) Fotografie wird wohl die Zukunft bestimmen. Montagen, Retuschen und Verfremdungen werden mit Hilfe digitaler Technik wesentlich erleichtert und unauffälliger. Bestimmte Merkmale, die in anderen Zusammenhängen als Mängel - wenn nicht der Verarbeitung, dann des Materials - gewertet würden, werden bei der digitalen Bearbeitung als Gestaltungsmittel akzeptabel, vergleichbar dem einst so verpönten groben Filmkorn, das sich irgendwann als Bildgestaltungselement durchsetzen konnte und seine eigene Rolle als (foto)grafisches Symbol, gewissermaßen als neues Grammatikelement in der dynamisch sich verändernden Bildsprache übernahm.

Beispiele

In meiner eigenen fotografischen Arbeit nehmen digitale Techniken bislang nur geringen Raum ein. Vordringlich kommen sie zum Einsatz in Bereichen, die nur am Rande der Fotografie zuzuordnen sind weil auch fotografische Bilder bearbeitet werden, deren Zweck aber z.B. die Vorbereitung für Druckzwecke und ähnliches ist. Daneben experimentiere ich gelegentlich mit den Möglichkeiten digitaler Retusche (z.B. auch, um mehr oder weniger historische Fotos von schlechtem Erhaltungszustand aufzubereiten), Montage und Kolorierungen. Gerade Letztere ergänzen die von Hand ausgeführten Kolorierungen um einige dort schwer realisierbare Varianten, ersetzen sie aber keinesfalls, sind doch solche digital erzeugten Kolorierungen von ihrem Charakter her überhaupt nicht mit der Wirkung manueller Kolorierungen vergleichbar.

Das nebenstehende Bild hätte so anscheinend auch auf konventionellem Wege entstehen können, doch wäre die Verwirklichung tatsächlich deutlich schwieriger gewesen. Leider erschließen sich gerade die größten Unterschiede kaum über eine Monitordarstellung im Internet sondern nur bei Betrachtung des tatsächlichen Bildes. Zunächst handelt es sich um eine Montage. Der Aufnahmestandort des Mädchenbildes lag zwar nur wenige hundert Meter von der hier verwendeten Landschaft entfernt, war aber eben doch eine ganz andere Umgebung. Dann handelt es sich im Original um eine Schwarzweißaufnahme, die auf digitalem Wege koloriert wurde und zwar in mehreren Varianten so, dass der Mädchenkörper in einem metallisch-goldenen Ton zur unterschiedlich intensiv eigefärbten Landschaft kontrastiert. Eine Spielerei, die von einem bestimmten Bearbeitungszustand des Bildes provoziert, dessen Charakter betont.

Anschließend ein Beispiel für die Variation einer Gestaltung auf der Grundlage eines „Digigramms” (eines digital erstellten Fotogramms).

Und zum Abschluss ein Bearbeitungsbeispiel ohne direkten Fotografiebezug