Fotografie und Zeichnung,
die Bedeutung bildnerischer Techniken in meinem Leben

Alle Kinder malen sofern ihnen dafür Zeit, Gelegenheit und Material verfügbar ist, aber nur wenigen wird die Abbildung der Umwelt zu einem bleibenden Bedürfnis von tieferer Bedeutung. Zu letzter Gruppe darf ich mich zählen. Schon in früher Kindheit spürte ich eine besondere Kraft in der Verknüpfung von Wahrnehmung, Abbildung (und dabei Neuformung, Neuschöpfung) und Betrachtung. Ein Aneignungsprozess über den, katalysiert durch den Vorgang der bildnerischen Neuschöpfung, eine neue Realität entsteht, die Eigenrealität des Bildes. Zu solchem Bildschaffen nun stehen unterschiedliche Techniken zur Verfügung. Bis heute setzt sich dabei für mich die Entwicklung seit der kindlichen Malerei und Zeichnung kontinuierlich fort bei ständig verbesserter übung und technischer Fertigkeit. Zur Fotografie führt dabei ein früher Seitenweg meiner Erwägungen: Schon damals, als Kind hatte ich ein Bedürfnis nach größtmöglicher, geradezu mikroskopischer Detailgenauigkeit der Abbildung. Ein Eindringen in die Gegenstände der Außenwelt bis in die feinsten Strukturen, ein totales Erfassen und Erfühlen war das Ziel, hinter dem die Empfindung stand, Beschränkungen der eigenen Wahrnehmung sprengen zu müssen, um zum innersten Wesen des Anderen vorzudringen und dieses aufsaugen, in ihm aufgehen zu können. Weil ich solches zeichnerisch noch nicht zu leisten vermochte, glaubte ich, dass die Fotografie dank ihrer „technischen Unbestechlichkeit" dazu in der Lage sei. Dies war der ausschlaggebende Gedanke für meine erste Beschäftigung mit Fotografie, auch, wenn in den erhaltenen Bildern nur wenige Hinweise auf dieses Anliegen zu finden sind. Der Grund dafür liegt einerseits darin, dass ich zunächst die technischen Möglichkeiten des neuen Mediums auszuloten hatte - und das mit starken Einschränkungen durch die verfügbaren Mittel - daneben aber auch Rücksicht zu nehmen hatte auf Forderungen anderer. Letzteres bedeutete konkret, dass ich meinen ersten Fotoapparat, eine Agfa-Rapid IF, vor allem unter dem Gesichtspunkt geschenkt bekommen hatte, damit nun auch die Familiendokumentation zu bestreiten. Außerdem konnte ich mir Filme und Filmentwicklungen noch nicht selber leisten und musste deshalb die Zahl der Experimente auf ein geduldetes Maß reduzieren bzw. versuchen, solche in akzeptierte Motive einzubringen. Diese Situation besserte sich erst, als Filme und Filmentwicklungen für mich selber erschwinglich wurden und ich lernte, auch Filme und Bilder selber zu entwickeln wozu ich mir Zugang zum schuleigenen Fotolabor zu verschaffen verstand ohne jemals eine formale Berechtigung dafür erworben zu haben.

Nachdem ich mittlerweile aber auch die Grenzen des Machbaren und die Gründe dafür kennen gelernt hatte, erwuchs der Wunsch nach geeigneterer Ausrüstung, die mir dann später in Gestalt einer Kleinbild-Spiegelreflexkamera zukam, mit der ich fortan meine Aufnahmen machte. Später wechselte ich für einen erheblichen Anteil meiner Aufnahmen auf das Mittelformat und machte nebenher auch Versuche mit Eigenbau-Großformatkameras. Inzwischen setze ich nur noch die größeren Formate ein. Tatsächlich strebe ich bei meinen Aufnahmen meist größtmögliche Schärfe zumindest in den entscheidenden Details an, wie es ja den oben erwähnten Ansprüchen entspricht. Dass man aber in der Auswahl meiner Fotos dennoch einen nicht geringen Anteil beispielsweise von Versuchen mit Weichzeichnertechniken findet rührt daher, dass über die Beschäftigung mit dem Medium sich mitunter auch die Einstellung dazu und die Ansprüche daran ändern können. Auch solche Bildformen, die nicht den ursprünglichen Forderungen gerecht werden, offenbaren ihren Reiz und locken zu Versuchen; und weitere, früher nicht bedachte Kriterien wie beispielsweise das Verhältnis von Tonwerten zueinander oder die Umsetzung bestimmter Farben oder Helligkeiten in Grauwerte gewinnen zusätzliche Bedeutung. Auch muss sich der Anspruch an der Wirklichkeit und Machbarkeit messen wobei häufig zu erfahren ist, dass die tatsächlichen Möglichkeiten des Mediums zu Kompromissen zwingen und für den eigenen Gestaltungswillen Wege gefunden werden müssen, die Anspruch und Möglichkeit miteinander förderlich verknüpfen. Auch was die Auswahl der Motive oder Themenbereiche angeht mag man bei mir zwar mit Sicherheit Schwerpunkte, nicht aber Festlegungen auszumachen. Zu Vieles gibt es um mich herum, das taugt, fotografiert oder anderweitig abgebildet zu werden. Sei es aus formal-ästhetischen Erwägungen heraus oder zum Zwecke der Dokumentation. Dabei mag ich diese beiden Bereiche gar nicht so sehr voneinander trennen wie dies sonst üblich ist. Auch ein Bild mit vorwiegend dokumentarischem Anliegen gewinnt durch künstlerische Auffassung und Gestaltung wie auch ein Bild, das wegen der besonderen ästhetischen Wirkung des Motivs entstanden ist, gleichzeitig dokumentarischen Wert haben kann. Die Verschmelzung solch unterschiedlicher Ansätze ist mir kein Anliegen sondern geradezu eine Selbstverständlichkeit - es anders zu sehen muss ich mich ggf. zwingen. Solcherart „ästhetische Dokumentation” beinhaltet auch ein „Verewigen”, das Bewahren eines Zustands weit über den Augenblick hinaus. Das ist gleichzeitig ein Aspekt des Eigenlebens, der Eigenrealität eines Bildes. Es ist zu einem Teil das Abgebildete, das es gleichzeitig neu erschafft und über die Einschränkungen der Zeit erhebt. Je exakter nun die Darstellung, desto „wirklicher” erscheint deren Dasein, desto realer erscheint die Wirklichkeit des Bildes.