Kurzübersicht zum vorgeschlagenen Orthographiesystem

Das von mir vorgeschlagene Orthographiesystem für ostfriesisches Platt

(verbesserte Bearbeitung 1975, überarbeitet 1999)

Das hier vorgestellte Orthographiesystem für das ostfriesische Platt entstand seit etwa 1972 aus der Unzufriedenheit mit den gängigen Schreibweisen. Bemängelt wurde vor allem die unzulängliche Darstellung des tatsächlichen Lautstandes. Dies wäre noch ein geringes Problem gewesen, wäre es nicht so, dass durch die lautliche Ungenauigkeit der ans Deutsche angelehnten Schreibweise Eigenständiges der ostfriesischen Sprache verlorenzugehen drohte indem dessen Besonderheit durch die Schrift verschleiert und nivelliert wurde.

Obwohl also von der Intention her dieses Unterfangen dem Erhalt und der Förderung dessen, was vom eigenständigen ostfriesischen Platt noch übrig war/ist dienen sollte, fand es wenig Zustimmung. Zu groß waren die Widerstände gegen die ungewohnte Schreibung, vor allem gegen die Verwendung bis dahin ungebräuchlicher Sonderzeichen.

Andernorts - ich denke da an Nordfriesland - hat man damit weniger Probleme, und ich möchte daran erinnern, dass bereits vor langer Zeit für die Aufzeichnung des wangerooger Friesischen eine ausspracheorientierte Schreibweise mit diversen Sonderzeichen verwendet wurde.

Es gilt generell Kleinschreibung. Mit großem Anfangsbuchstaben wird außer am Satzanfang nur bei Namen geschrieben (Personennamen, Ortsnamen, Ländernamen u.ä. sowie bei direkt aus Namen hergeleiteten Bezeichnungen wie Sünnerklóós (St. Nikolaus). Bei Gebäudenamen und geografischen Namen nur, wenn es sich tatsächlich um einen Namen handelt, nicht aber bei Funktionsbezeichnungen. Bei Titeln obliegt die Entscheidung dem Schreibenden und richtet sich nach dem Grad der zum Ausdruck gebrachten Hochachtung (grundsätzlich gilt aber auch dort Kleinschreibung).

1. Konsonanten:

Die Konsonanten * b d f g h j k l m n p r t w * entsprechen in ihrem Lautwert weitgehend dem Deutschen und zwar je nach Stellung im Wort sowohl der stimmhaften wie stimmlosen Variante und auch ggf. behaucht.

Der Konsonant -s- wird je nach Stellung stimmlos oder stimmhaft gesprochen. In Verbindung mit weiteren Konsonanten im Anlaut (st, sk, sl, sm, sp usw.) sowie teilweise auch innerhalb eines Wortes (insbesondere in der Verbindung sk oder sg / sğ) erhält das -s- einen Lautwert zwischen deutschem -sch- und -ch- (wie in ich). Letztere Lautkombination ersetzt auch das -sch- in entsprechenden deutschen Wörtern. Offenes, stimmhaftes -sch- kommt nicht vor.

-c- kommt nur in der Verbindung -ch- vor, deren Lautwert dem -ch- im deutschen ach entspricht, wobei häufig eine Mittelstellung zwischen dt. ich und dt. ach artikuliert wird.

-q- kommt nicht vor: der deutschen Schreibweise -qu- entspricht -kw-.

-v- ist dort einzusetzen, wo der Lautwert zwischen -w- und -b- variieren kann.

-x- kommt nicht vor: der deutschen Schreibweise -x- entspricht -ks-.

-y- ist nicht als Konsonant vorhanden.

-z- wird in seltenen Fällen für ein stimmhaftes -s- eingesetzt, ansonsten nur in der Verbindung -zj- oder -zg- bzw. -zğ-. Deutschem -z- entspricht -ts-.

Zusätzlich tritt der g-Frikativlaut ğ auf,dessen Klang ein Übergang von -g- zu -ch- wie in deutsch ach ist. In Verbindung mit -s- wird es in lokalen Varianten mitunter durch -k- ersetzt.

zj gibt den g-Laut in Garage wieder, allerdings leicht verändert zu einem gepressten (palatalen), stimmhaften s mit j-Nachschlag bzw. als stimmlose Variante des ž mit j-Nachschlag.

Konsonanten werden grundsätzlich einfach gesetzt. Doppelsetzung erfolgt dort, wo Silbentrennung im Konsonanten (Silbengelenkfunktion) vorliegt. Beispiele: mak (zahm) aber takken (Zweige), Plural zu tâk.

Der Stimmlippenverschluss vor ansonsten vokalisch anlautenden Wörtern kommt vor, ist aber nicht obligatorisch.

Die Feststellung der Entsprechung von Konsonanten im ostfriesischen Platt und dem Deutschen bezieht sich grundsätzlich nur auf den isolierten Laut. Das Verhalten im Wort kann durchaus sehr verschieden sein. Im Deutschen wird zum Beispiel in manchem Lautumfeld das -l- zu einem j-ähnlichen Laut erweicht, was im ostfriesischen Platt so nicht geschieht. Auch wird man z.B. häufig ein reines -n- hören, wo man von deutscher Sprechgewohnheit her einen ng-Laut erwarten möchte und ein langer geschlossener Vokal vor -r ist eher die Regel. Besonders irritierend ist diese Tatsache oftmals bei Lehnwörtern, deren Aussprache für einen Sprecher des Deutschen dann sehr befremdlich wirkt.

Insbesondere für die Darstellung der Vokale wäre die Möglichkeit einer Darstellung in API-Lautschrift hilfreich (in Einzelfällen versuche ich, entsprechende Informationen durch ähnliche Zeichen zu vermitteln - Angaben in eckigen Klammern). Meine Vergleiche mit deutschen Lautwerten - insbesondere bei Lauten wie -äe- -ie- -ue- -öe- -üe- - sind nur als Versuche einer Annäherung tauglich. Es handelt sich z.B. bei den genannten Lauten um Langformen von Lauten, die im Deutschen nur als kurze Lautwerte vorkommen.

2. Vokale:

Die Vokale * a i o u ö ü ó * sind kurze Vokale, deren Lautwert dem entsprechender kurzer Vokale im Deutschen weitgehend gleicht. (Beispiele: Ball, Kind, Topf, Butter, Köln, Hütte)

Der Vokal e ist entweder ein kurzes e wie in deutsch hell oder ein tonloses e (Schwa) wie deutsches End-e (z.B. in Ende). Die Endsilbe -er ist ein Schwa mit r-Rest, in dessen Aussprache keine Tendenz zu a vorhanden sein darf.

* ā ē ī ō ū öö üü óó * sind lange Vokale, deren Lautwert weitgehend dem entsprechender langer Vokale im Deutschen gleicht. (Beispiele: lahm, lesen, Sieb, Kohle, lösen, brüten)

Langes a wird meist etwas dunkler, nach hinten in den Kehlraum verschoben, artikuliert als im Deutschen.

æ ist ein mittellanges, dunkles ä mit starker Tendenz zum a und kommt auch als ææ vor z.B. Læær (die Stadt Leer). Die Aussprache ähnelt dem des -a in Englisch "bad".

óó ist ein langes offenes o, das herkömmlich meist aa oder oa, selten å geschrieben wurde z.B. lóót (1. spät 2. lass 3. sieh aus). Für die Schreibung dieses Lautes kann auch åå verwendet werden.

ä erscheint in der Buchstabenverbindung äe, die einen im Deutschen unbekannten Laut bezeichnet, der etwa klingt wie ein helles ä (nicht e!) mit e-Nachschlag z.B. läecht *(hell) sowie in äi und äj, von denen die erste ein kurzer, die zweite ein langer Diphthong ist. Beispiel: däi [dæI] (der, die), säj [zE:I](See)

*das ch in läecht steht zwischen den Artikulationen von dt. ich und dt. ach.

Bei â ê î ô óóe û ööe üüe entsprechen die Vokale jeweils den oben aufgeführten langen Lauten, die nun aber in einem aufsteigenden Ton gesprochen und von einem fallenden Nachschlag des tonlosen e bzw. einem abgeschwächten Eigenklang gefolgt werden (Überlängte Vokale, in der Literatur auch gelegentlich als "Schleifton" bezeichnet - ein Begriff, den ich nicht besonders schätze). Eine entsprechende Erscheinung gibt es auch bei den meisten Diphthongen.

oe ist die lange Form eines o wie in Dt. voll, ggf. gefolgt vom e-Nachschlag z.B. swoer (schwer). Dagegen: móóer (1. Moor 2. Mutter).

Gesprochene Sprache und Schrift sollen durch dieses Orthographiesystem zwar möglichst weitgehend zur Deckung gebracht werden, doch sind Ausnahmen dort zu dulden, wo der Sprecher das Vorhandensein bestimmter Laute zwar deutlich empfindet, auch, wenn diese im gesprochenen Wort nicht (mehr) wahrnehmbar sind z.B. harfst, das gesprochen hârst oder hâst lautet.

Solche empfundenen Laute können historisch begründet oder einfach durch aktuelle Verschleifung oder Erweichung ursprünglich vorhandener Laute entstanden sein, z.B. baudel (Sache, Angelegenheit) (gesprochen: bauël . Auch lokal unterschiedliche Sprechweisen können das Beibehalten mancherorts nicht mehr gesprochener Laute in der Schrift erfordern.

Diphthonge sind: ai āi (āj) âj äi äie ei äj au âu oi ój óej öj (öi) öej öy öye

ai und au lauten wie im Deutschen. oi entspricht dem deutschen eu (eu wird dagegen wie e-u gesprochen, also mit getrennten Lauten und meist einer Betonung des e). Bei āj ōj óój sind a, o und ó lang. öi ist ein kurzes ö, von i gefolgt. öj hat ein langes offenes ö, z.B. möj [mœ.I](müde). *öy ist eine Lautkombination aus etwa einem tonlosen e oder ö-Laut, gefolgt von ü z.B. töyven (warten, zögern) (ähnelt dem niederländischen ui).

In lokalen Aussprachevarianten kommen auch Triphthonge vor, die z.T. einige der aufgeführten Diphthonge ersetzen. Deren Schreibweise ergäbe sich aus dem dargelegten System, z.B. iej für äj. (twäj / twiej. Allerdings sind diese Triphthonge ähnlich zu betrachten wie die vielfach diphthongisierte Aussprache langer Vokale, die streng zu unterscheiden ist von echten Diphthongen und deshalb in der Schrift keine Berücksichtigung findet.

Einzeldarstellung:

Konsonanten:

b entspricht dem b im Deutschen und tritt wie dort in zwei Varianten (stimmhaft / stimmlos) auf.

c kommt nur in der Buchstabenverbindung ch vor und entspricht oft dem deutschen ch (wie in ach), kann aber auch eine mittlere Stellung einnehmen zwischen den beiden vom Deutschen her bekannten Allophonen.

d entspricht dem d im Deutschen und tritt wie dort in zwei Varianten auf (vgl. b).

f entspricht dem f im Deutschen

g entspricht dem g im Deutschen

ğ( ist ein Laut etwa zwischen deutschem g und ch (g-Frikativ) (alternativ: gh)

h entspricht deutschem h

j entspricht dem j im Deutschen

k entspricht dem deutschen k

l entspricht dem l im Deutschen, kann aber anders als dort auch gelängt werden

m entspricht dem m im Deutschen, kann aber anders als dort auch gelängt werden

n entspricht dem n im Deutschen, kann aber anders als dort auch gelängt werden. In der Schrift steht n häufig für eine eigenwillige Art von Nasalierung des vorhergegangenen Vokals, deren Artikulation einer gesonderten Beschreibung bedarf.

p entspricht dem p im Deutschen

r kennt mehrere Artikulationsweisen, die dem vom Deutschen bekannten Muster folgen

s tritt in zwei Varianten (stimmhaft / stimmlos) auf und kann in Einzelfällen eine mittlere Stellung zwischen beiden einnehmen. Im Anlaut steht häufig - aber nicht grundsätzlich - die stimmhafte Variante, im Auslaut oft der Mittellaut.

t entspricht dem t im Deutschen

v bezeichnet eigentlich einen unentschiedenen Laut zwischen w und b. Gesprochen wird normalerweise ein w, es besteht aber die Option für b und es ist den Sprechern oftmals nicht möglich, eindeutig zu entscheiden, welcher Laut einzusetzen ist.

w entspricht dem w im Deutschen. Bisweilen fällt die Entscheidung zwischen w und f schwer.

x kommt nicht vor. Dem deutschen x entspricht ks.

y kommt nicht als Konsonant vor.

z kommt eigentlich nur in der Verbindung zj vor, kann aber ggf. zur Verdeutlichung des stimmhaften s eingesetzt werden.

-zj- gibt den g-Laut in „Garage“ wieder, der allerdings eine abweichende Artikulation erfährt: Ein am vorderen oberen Gaumen gepresstes ž verbindet sich mit j oder es wird eine stimmlose Variante des ž mit j verbunden.

-tj- entspricht [c] und klingt etwa wie das -tch- in dt. Kettchen bzw. als -dj- wie das -dch- in dt. deutschen Mädchen.

Vokale:

a kurzes a wie in deutsch hat

ā langes a wie in deutsch laben, aber von dunklerem Klang.

â überlängtes a

e kurzes e wie in deutsch hell oder schwaches e wie in deutsch alle, in der Verbindung -er ähnlich wie in deutsch welcher

äe langes oder überlängtes e (hat keine Entsprechung im Deutschen) Beispiel: späel = Stecknadel

ē langes e wie in deutsch wegen.

ê überlängtes e.

i kurzes i wie in deutsch bitte

ie lange oder überlängte Form des i wie in Dt. bitte (hat keine Entsprechung im Deutschen). Beispiel: biel = Pobacke

ī langes i wie in deutsch biete.

î überlängtes i

o kurzes o wie in deutsch Kopf

oe lange oder überlängte Form des o wie in Dt. Kopf (hat keine Entsprechung im Deutschen). Beispiel: doet = (Woll-)Knäuel

ō langes o wie in deutsch los

ô überlängtes o

ó kurze Form des Lautes wie etwa in englisch tall. (alternativ: å)

óó etwa wie englisch tall. (alternativ: åå)

óóe überlängtes ó (alternativ: ååe)

u kurzes u wie in deutsch Butter

ue lange oder überlängte Form des u wie in Dt. Butter (hat keine Entsprechung im Deutschen). Beispiel: wuel = Wolle

ū langes u wie in deutsch suchen

û überlängtes u

ö kurzes ö wie in deutsch können, aber im Klang etwas dunkler.

öe lange oder überlängte Form des ö in Dt. können (hat keine Entsprechung im Deutschen). Beispiel: röet = Ratte

öö langes ö wie in deutsch Löwe.

ööe überlängtes öö

ü kurzes ü wie in deutsch Hütte.

üe lange oder überlängte Form des ü in Dt. Hütte (hat keine Entsprechung im Deutschen). Beispiel: püel = Wärmflasche

üü langes ü wie in deutsch Mühle.

üüe überlängtes üü

æ im Klang ähnlich dem englischen bat (Fledermaus)

ææ im Klang ähnlich dem englischen bad (schlecht).

Diphthonge:

ai ähnlich wie in deutsch Mai aber von dunklerem Klang.

āi (āj) ai-Diphthong mit langem a.

âj Überlängung von āj

au ähnlich wie in deutsch blau aber von dunklerem Klang und geringfügig länger

âu Überlängung von au.

äi im Deutschen unbekannter Diphthong, z.B.: läip = schlimm. (Vgl. Finnisch)

äie Überlängung von äi, z.B.: säiep = Seife.

ei [EI] kurzer, im Deutschen unbekannter Diphthong aus kurzem ä-ähnlichem -e und i. Dieser Diphthong ist die kurze Entsprechung zu: äj.

äj [E:I] im Deutschen unbekannter Diphthong z.B.: bäj = Beere.

oi etwa wie in deutsch heute

ōj etwa wie deutsch Boje

óój im Deutschen unbekannter Diphthong.

óej Überlängung des vorigen Diphthongs.

öj im Deutschen unbekannter Diphthong, z.B.: möj = müde

öy ähnlich dem niederländischen ui